Die Sache mit dem Karabiner

Kürzlich durfte ich mit meiner Familie ein paar freie Tage im Berner Oberland verbringen. Hierbei verschlug es uns in einen Seilpark.

Die Kinder überraschten mich, wie mutig und geschickt sie sich in bis zu 20m durch die unterschiedlichen Routen hangelten. Rührig bedankte sich der neunjährige Benedikt, dass wir ihn hierdurch von seiner Höhenangst geheilt hätten. Auf einer kleinen Plattform in luftiger Höhe fragte ich ihn, wie es mit seiner „Höhenangst“ (hat er meiner Meinung nach nicht im eigentlichen Sinne, sondern eher ein gesunder Respekt) wäre wenn er ungesichert und ohne Haltegriffe dort stehen würde, woraufhin er ganz bleich wurde und meinte er würde dann wie gelähmt stehen bleiben und auf die Bergrettung warten.

Das Vertrauen in die gute Sicherungstechnik war also die notwendige Voraussetzung (conditio sine qua non) in die eigene Performance.

 

Dieses Erlebnis ist eine schöne Verbildlichung eines Effektes, der schon von Abraham Maslow Mitte des 20. Jahrhunderts in der nach ihm benannten Bedürfnishierarchie bzw. -pyramide benannt wird. Hierbei steht das Bedürfnis nach Sicherheit hinter der Tilgung physiologischer Bedürfnisse (Durst, Hunger, Schlaf, ...) direkt auf der zweitniedrigsten Stufe. Erst wenn diese Bedürfnisse gestillt sind kann man an die sozialen Bedürfnisse und die Individualbedürfnisse sowie schlußendlich die Selbstverwirklichung denken. Die Sicherheit ist also eine elementare Voraussetzung für unser Tun.

 

Die gute Sicherung im Seilpark hat also Benedikt verholfen

-      sich auf den Parcours zu fokussieren und konzentrieren

-      eine gute körperliche Leistung zu erbringen

-      somit ein gesundes Maß an Selbstbewußtsein und -SICHERHEIT zu entwickeln

-      den wertvollen Effekt der Selbstwirksamkeit zu erfahren

 

Werde ich nun zum Markenbotschafter für Klettergurte? Nein!

Ich will vielmehr darauf hinaus wie ausgebremst und ausgehebelt wir in unserer Performance (also Leistungsfähigkeit), sofern wir uns nicht sicher fühlen. Und hierbei möchte ich mich nicht nur auf die physische Sicherheit beschränken. Es ist eigentlich selbstverständlich, dass man keine gute Arbeit leisten kann, wenn man sich in (physischer) Gefahr befindet. Das Thema Eigenschutz mit Allem was dazu gehört sollte nicht nur in der Notfallmedizin kein Fremdwort mehr sein.

SAFETY FIRST ist also tatsächlich eine Handlungsmaxime.

 

Ich möchte aber noch einen Schritt weiter gehen hin zu einem Begriff, der zu Unrecht in ein schlechtes Licht geraten ist: SELBSTSICHERHEIT.

„Der ist aber ganz schön selbstsicher ....“ Dieser Ausspruch ist zumeist nicht als Lob gemeint, sondern ist eine Umschreibung für Hochmut und Kühnheit. Klar kennt jeder auch entsprechende Charaktere, aber oftmals ist es auch eher der Neid der hier zum Ausdruck kommt. Dabei ist es im eigentlichen Sinne gar nicht so gemeint, sondern kommt dem ebenfalls in Mißgunst geratenen Begriff des SelbstVERTRAUENs nahe.

Wem kann und sollte man sich wohl mehr vertrauen als sich selbst? Und wenn man sich selbst vertraut kann man sich auch seiner sicher sein, völlig legitim und wünschenswert. Dies sorgt in gesundem Maße (wie immer und bei allem im Leben) dazu, dass man sich auf andere (externe) Dinge fokussieren und konzentrieren kann.

 

Und dies führt uns wieder zurück zu unserer Performance: Wenn ich mir meiner sicher bin und mir selbst vertraue (manche würden sagen „er ruht in sich selbst“) kann ich mich externen Herausforderungen deutlich besser stellen. Es geht also deutlich über die physische Sicherheit hinaus. Wenn ich das nötige Fachwissen für die entsprechende Situation habe bzw. vielleicht sogar auf Erfahrungswissen aus ähnlichen Ereignissen zurückgreifen kann, werde ich deutlich gefasster sein. Stellt die Nutzung / Bedienung der benötigten Ausrüstung keine Hürde für mich da, weil ich sie SICHER beherrsche, wird es mir zudem Ruhe geben.  Was manchmal nicht endgültig beherrschbar ist sind die notwendigen praktischen Fertigkeiten, da die patienten- und situationsabhängigen Voraussetzungen komplex, schlecht vorherseh- und beeinflussbar sein können. Habe ich aber eine hohe HandlungsSICHERHEIT, weil ich es gut geübt und schon mehrfach angewendet habe, wird die Beherrschung der Aufgabe deutlich wahrscheinlich. Und habe ich noch eine oder mehrere Handlungsalternativen , einen „Plan B, C,...“ in der Hinterhand, so habe ich quasi einen „Sicherungskarabiner“ in der aktuellen Situation.

Allerdings wird mir dieser Karabiner nicht in den Schoß fallen, sondern diese Sicherheitstechnik will durch gutes Fachwissen, solide technische Fertigkeiten, Wissen um Handlungsalternativen und bestenfalls Erfahrung (bis hin zur Routine) erarbeitet werden.

 

Also packen wir es an, wer will schon ungesichert auf einer kleinen wackligen Plattform in luftiger Höhe stehen....