Fallbericht Lungenembolie

Erneut möchte ich von einem Einsatz berichten, an dem ich selbst nicht beteiligt war. Er ist jedoch in meinen Augen sehr lehrreich, und daher möchte ihn auch in seiner Komplexität vorstellen. Nur so viel zu dem gelegentlich geäußerten Vorwurf ich würde mich mit den Fallvorstellungen "abfeiern" oder über andere Kollegen lästern. Dies ist sicher nicht der Fall, sondern der Lerneffekt ist das einzige und entscheidende Element.

 

Rettungswagen, Notarzt und die Bergwacht werden zu einer Synkope an einen Wasserfall alarmiert. Der 56jährige Patient ist nach einem Fußmarsch von Notarzt und Bergwacht relativ rasch auf zu finden und sein Status ist offensichtlich besorgniserregend:

A: frei

B: Dyspnoe mit einer Raumluftsättigung von 65% bei gutem Pulssignal, offensichtliche Zyanose, beidseits vesikuläres Atemgeräusch. Bei 15l/min Sauerstoff maximal 85% zu erreichen.

C: Sinustachykardie 116/min, RR 100/60mmHg, kaltschweißig, kühle Finger und somit auch verlängerte Rekap-Zeit. Im Verlauf 12-Kanal-EKG mit Rechtstyp, ST-Senkung und T-Negativierung in II, III, und aVF

D: GCS 15, Todesangst

E: Kein Trauma

 

S: Der Patient berichtet die Atemnot habe sich innerhalb von kurzer Zeit während einer Wanderung entwickelt, kurz davor seien heftige Schmerzen in einem Bein aufgetreten. Er könne nicht mehr weiter gehen und sei auch in sich zusammengesackt.

A: Bestehen nicht

M: Keine

P: Bandscheiben-OP vor 6 Wochen. Heterozygote Faktor V-Mutation, Z.n. tiefer Beinvenenthrombose

L: Vesper bei der Wanderung

E: Kein Trauma, kein Umwelteinfluss

R: Zurückliegende Immobilisation

 

Aufgrund des kritischen Patientenzustands und der abgelegenen Einsatzstelle wird ein Rettungshubschrauber mit Windenoption angefordert. Der Patient erhält trotz der eingeschränkten Ressourcen hochdosiert Sauerstoff und ein Venenzugang wird gelegt. Bei der Arbeitshypothese einer Lungenembolie wird dem Patienten 10.000 I.E. Heparin i.v. verabreicht, worunter sich die pulsoxymetrische Sättigung schneller erholt als es eigentlich sein könnte. Parallel dazu wird der Patient zur Windenoperation vorbereitet und ein Helfer holt das Lysemedikament aus dem Notarztfahrzeug (was natürlich outdoor etwas Zeit benötigte). So ist die Metalyse auch noch nicht verabreicht, als die beiden Hubschraubernotärztinnen eintreffen (aufgrund eines Line-Checks zu zweit). Die Übergabe erfolgt strukturiert und fokussiert vom bodengebundenen Primär-Notarzt. Die übernehmende Ärztin verschafft sich parallel zur Monitorisierung des Patienten im Luftrettungssack noch einen kurzen Überblick über den anhaltend kritischen Patienten. Dabei erscheint es ihr so, als könne man im schmerzenden Bein keinen Leistenpuls tasten. Sie wirft daraufhin ein, es könne sich ja auch trotz aller Indizien für eine Lungenembolie auch um eine Aortendissektion handeln.  Daraufhin einigt man sich auf die Lyse aus Sicherheitsgründen zu verzichten und stattdessen den Patienten innerhalb von 10min nach Aufnahme in den Helikopter in ein Zentrumskrankenhaus zu fliegen und zunächst eine Bildgebung ab zu warten. Ein präklinischen Ultraschallgerät stand bei diesem Einsatz leider nicht zur Verfügung - womit man die Rechtsherzbelastung verifizieren und den Gefäßverschluss des Beins ausschließen hätte können. Ggf. hätte man vielleicht auch Zeichen der Aortendissektion gesehen. Aber nun ja, hätte hätte Fahrradkette...

 

Wie ging es nun mit dem Patienten in der Klinik weiter?

Bereits in der Notfallechokardiographie im Schockraum zeigte sich eine schwere Rechtsherzbelastung. Im CT konnte die Aortendissektion definitiv ausgeschlossen werden und es zeigte sich eine fulminante Lungenembolie beidseits. Im Verlauf wurde eine tiefe Beinvenenthrombose (TBVT)  der Vena femoralis superficialis als Auslöser identifiziert werden. Bei anhaltender klinischer Instabilität entschied man sich sofort nach Aufnahme für ein spezielles Verfahren, dem sog. EKOS. Dabei wird im Herzkatheterlabor ein Katheter in die Lungenkreislauf eingebracht und darüber lokal und selektiv eine Lysetherapie verabreicht, und, dies ist die Besonderheit bei EKOS, unterstützt eine Ultraschallanwendung die lokale Thrombusauflösung durch Destabilisierung der Fibrinmatrix.

Der vorgestellte Patient erholte sich sehr rasch trotz des ausgedehnten Befundes und konnte schon am Folgetag von der Intensivstation verlegt werden. Die heterozygote Faktor-V-Mutation und die körperliche Schonung nach der Wirbelsäulen-OP sorgten mutmaßlich für die unglückliche Verkettung aus TBVT und konsekutiver fulminanter Lungenembolie.

 

Was kann man daraus lernen?

Durch das moderne Freizeitverhalten kommt es zu wirklich allen Arten von Notfällen in unwegsamen Gelände, so dass eine Zusammenarbeit mit der Bergwacht und Windenoperationen der Luftrettung notwendig werden. Eigentlich lag die Ursache des kritischen Patientenzustands auf der Hand, weil die Anamnese und Klinik klassisch für eine Lungenembolie war. Aufgrund des kritischen Patientenstatus wäre dann eigentlich eine systemische Lyse indiziert gewesen und sie war auch verfügbar. Hätte jedoch die zweite Notärztin mit ihrer Sorge um eine etwaige Aortendissektion bis in die Beingefäße hinein recht behalten wäre der Ausgang durch die Lyse sicher deletär gewesen. Die Abwägung dann zunächst drauf zu verzichten und stattdessen den Fokus auf den raschen Transport zu legen halte ich für gerechtfertigt. 

Dennoch vermute ich, dass die Entscheidung bei Einsatz der Notfallsonographie mit Nachweis der Rechtsherzbelastung und Ausschluss eines Gefäßverschlusses des Beins ausgefallen wäre.

Auch in der Klinik ist die Behandlung einer fulminanten Lungenembolie eine diagnostische wie therapeutische Herausforderung bis hin zum Einsatz spezieller Therapieverfahren. Gerade wenn schon die Luftrettung eingesetzt wird ist eine Zielklinik an zu streben, die diesen hohen Ansprüchen gerecht wird. Dadurch lassen sich dann eigentlich unnötige Sekundärtransporte von instabilen Patienten zumeist vermeiden.

 

Noch etwas für die Nerds: Manchmal findet man 5000 I.E. Heparin und manchmal auch 10000 I.E. als venöse Erstgabe in den Büchern. Aber was nun? Eindeutig ist es nicht: Formell werden 80 I.E./kgKG empfohlen, an anderer Stelle wird eine PTT-gesteuerte Gabe (60-80sec) empfohlen, was wir aber präklinisch ja nicht messen können. Somit müßten einerseits rechnerisch die 5000 I.E. grob oft ausreichend sein, andererseits ist meine persönliche Erfahrung, dass man bei einem normalgewichtigen Erwachsenen und 10.000 I.E. Heparin meist keine PTT von 60-80 sec erreicht, so dass in der Klinik mit einem Heparinperfusor weitergemacht wird. Bevor man sich aber an diesen Zahlenspiele ergötzt sollte man sich auch nochmal klar machen, dass ich mit der Antikoagulation nur ein weiteres Thrombuswachstum unterbinden will, auflösen tu ich ihn egal mit welcher Dosis mittels Heparin nie. Die Thrombuszerlegung erfolgt entweder innerhalb der nächsten Tage durch die körpereigene Fibrinolyse  oder schneller durch die externe Lysetherapie. Mit dem Heparin versuche ich also nur Zeit zu gewinnen und eine Verschlimmerung der Thrombuslast zu verhindern. Eine zusätzliche Gabe von ASS zur Thrombozytenaggregationshemmung wird übrigens nicht empfohlen.