Auch für die Arbeitsgemeinschaft südwestdeutscher Notärzte agswn ist die Pandemie eine spannende Zeit. Die Stakeholder dort sind in der Regel Leitungskräfte in großen Kliniken oder sonstigen Institutionen und sind somit seit über einem Jahr sehr eingespannt. Hinzu kommen die Kontaktbeschränkungen, die persönliche Treffen von der Vorstandssitzung bis zur Jahrestagung unmöglich machten. So musste auch die Jahrestagung 2020, welche traditionell zur Zeit der Krokusblüte in Baden-Baden stattfindet, recht kurzfristig abgesagt werden. Auch dieses Jahr schien die Jahrestagung pandemiebedingt unter keinem Stern zu stehen, an eine Präsenzveranstaltung mit allen Interessierten im Kongresshaus war nicht zu denken. Aber man wollte dennoch eine Jahrestagung anbieten, denn die notfallmedizinischen Fortbildungsveranstaltungen sind ja allgemein aktuell rar geworden. Nun ist es zumindest gelungen, dass sich unter strengen Regularien der Vorstand und die Referenten persönlich in Baden-Baden treffen konnten. Es hatte zwar an Einzeltischen, Verpflegung am Tisch und Einbahnverkehr auf den Wegen den Charme eines Staatsexamens mit Schummelschutz, aber immerhin konnte man sich so zumindest „auf Zuruf“ in den Pausen austauschen. Da bekannt ist, dass es keineswegs einfacher ist online einer Veranstaltung zu folgen als in einem Vortragssaal, wurde bewußt die Tagung auf einen einzelnen Tag eingedampft und bei gleicher Vortragszahl die Sprechdauer auf 10min pro Referent gemäß dem Motto „in der Kürze liegt die Würze“ kondensiert. Dies ist zwar für die Referenten, welche ja bekannterweise gerne stundenlang über ihr Steckenpferd sprechen würden, gehörig anstrengend, hat aber hervorragend geklappt und die Veranstaltung kurzweilig gehalten.
Das Onlineangebot hat dazu geführt, dass sich deutlich mehr Besucher für die Jahrestagung angemeldet haben, weil die Schwelle/der Aufwand hierfür natürlich geringer war als sich nach Baden-Baden auf zu machen. Die agswn hat es in meinen Augen geschafft dadurch ihre Arbeit einem breiteren Publikum zu präsentieren als sonst, jede Einschränkung muss auch seine Vorteile haben.
Der Tag begann mit einer Sitzung unter dem flotten Namen „Germanys next Top-Notarzt“. Zunächst stellte der Vorsitzende der BAND Florian Reifferscheid das neue Kursbuch Notfallmedizin für die 80h-Kurse zur Erlangung der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin vor. Florian arbeitete schön heraus, dass das bisherige Kursbuch wirklich überholt und medizindidaktisch verbesserungswürdig war. Natürlich ist auch das neue Buch eher ein Minimalkompromiss zwischen den Entscheidungsträgern mit unterschiedlichen Grundinteressen. Aber dennoch wird es eine deutliche Verbesserung der Ausbildung darstellen. Grundsätzlich erinnert es uns Alle an die Verpflichtung eine gute Grundausbildung für diese herausfordernde Tätigkeit an zu bieten. Weiterhin ist die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin die einzigste ZB ohne Facharztbezeichnung als Voraussetzung. Und der zeitliche Umfang des Kurses ist im Vergleich zu anderen ZB in meinen Augen wirklich Hohn und Spott wenn man bedenkt, welche Verantwortung aus dieser ZB erwächst. Ich möchte keiner anderen Qualifikation zu nahe treten, aber so sind in der Regel mindestens eine Dauer von vier Wochen Ausbildung normal. Nur der Notarzt wird nach einem Kurs von einer guten Woche in das Einsatzpraktikum entlassen. Nur ändern wird man in Zeiten knapper Ressourcen (finanziell wie personell) spontan wohl wenig können, daher pflichte ich Florian vollkommen bei zumindest innerhalb dieser 80h medizindidaktisch ein Maximum heraus zu holen. Anschließend berichtete Frank Koberne über das in Freiburg entwickelte und gelebte Rezertifizierungsprogramm für die aktiven Notärzte im Rettungsdienstbereich. Engagiert will man dadurch dem Missstand entgegenwirken, dass in Ba-Wü keine notfallmedizinische Fortbilungspflicht zum Erhalt der ZB besteht gemäß dem Motto „einmal Notarzt, immer Notarzt“. Möchte kurz erwähnen, dass dies bei vielen anderen ZB auch strenger geregelt ist. Ich hoffe, dass Curricula wie aus Freiburg Schule machen und flächendeckend Einzug halten. Aber dies wird in Zeiten von Vermittlungsagenturen aufgrund Personalmangels wohl vorerst ein frommer Wunsch bleiben...
Die nächste Sitzung nannte sich „neue Strukturen“. Harald Genzwürker stellte hierbei den aktuellen Stand bei den Ersthelfer-Apps vor. Immer mehr angeschlossene Regionen entstehen, doch flächendeckend konnte es bisher nicht werden. Weiterhin ist es dem Engagement von Menschen wie Harald zu verdanken, dass solch sinnvolle Systeme umgesetzt und v.a. gelebt werden. Positive Beispiele geretteter Patienten gibt es genug... Weiter machte Erik Popp mit den Erfahrungen des Heidelberger Medical Intervention Car (MIC) incl. der Umsetzung erweiterter invasiver Massnahmen. Ich war erneut begeistert von der zurückhaltenden Darstellung dieser erweiterten Möglichkeiten trotz der eigenen Begeisterung für dieses Projekt, weil auch den Heidelberger Machern klar ist, dass es eine ganz besondere Struktur bzw. System für die erfolgreiche Implementierung braucht. Erik eröffnet uns aber mit seinen Kollegen einen innovativen Blick in die Zukunftsoptionen der präklinischen Notfallmedizin. Normalerweise erregt man ja mit Rechtsvorschriften nicht gerade Aufmerksamkeit nach den spannenden Berichten über das MIC, aber die Pressemitteilung zum neuen Rettungsdienstplan Ba-Wü erregte doch großes Aufsehen und zog somit auch die Tagungsteilnehmer schnell in ihren Bann. Man muss sich schon mehr als verwundert die Augen reiben, wie sich das Land die Zukunft des Rettungsdienstes vorstellt. Ein wahres Erdbeben wäre die Folge und wäre in meinen Augen ein gewaltiger Rückschritt trotz der ganzen angepriesenen vermeintlichen Verbesserungen. Aber hierzu will ich bei Gelegenheit mal separat eingehen, sobald auch mehr Detailinformationen vorliegen. Ich möchte Eddi aber schon mal sehr für seinen Ausblick und die Deutung der Pläne danken.
Fortsetzung folgt