Nachdem ich mich in den letzten Monaten mehr mit den psychologischen Aspekten der Notfallmedizin beschäftigt habe, kommt nun wieder mal was "Ur"-medizinisches: Advent, Zeit der Wünsche und Geschenke. Auch wenn es nicht der Nikolaus oder Weihnachtsmann gebracht hat, so ging doch ein Wunsch von mir auf dem Weg zum vollwertigen Notarztstandort Todtnau in Erfüllung. Wir führen seit ein paar Tagen nun auch die Medikamente Metalyse und Cyanokit mit.
Naiv wie ich bin habe ich meinen Kollegen leichtfertig verkündet sie mal schnell und zuverlässig zu informieren "wie man es mit der Metalyse denn so macht".... doch die Tücke steckt mal wieder im Detail.
Vorneweg aber der wichtige Hinweis! Hier handelt es sich um meinen aktuellen (und womöglich Lücken- oder fehlerhaften Wissensstand) - daher kann ich für den Inhalt keine Gewähr übernehmen!
Zur Substanz an sich:
Der Wirkstoff von Metalyse ist Tenecteplase und ist ein Fibrinolytikum. In D wird es zu 10.000 IE respektive 50mg vertrieben, der Listenpreis pro Therapieeinheit liegt bei ca. 1150 €, was man wissen sollte, ehe man es aus Versehen öffnet. Der hohe Preis wird. u.a. damit begründet, dass das Medikament ein Alleinstellungsmerkmal hat: Es kann gewichtsdapatiert als Bolus gegeben werden, während bei den anderen Fibrinolytika eine längerfristige (bis zu Stunden) Gabe notwendig ist. Zudem muss es nicht gekühlt werden, was die Aufbewahrung erleichtert. Beachtenswert sind die Kontraindikationen wie sie für alle Fibrinolytika gelten, wobei sie allesamt in der vital bedrohlichen Notfallsituationen als relativ betrachtet werde dürfen (bzw. ihr Einsatz sogar in Leitlinien empfohlen wird):
Absolute Kontraindikationen:
- Hämorrhagischer Schlaganfall oder Schlaganfall unbekannter Ursache zu irgendeinem Zeitpunkt
- Ischämischer Schlaganfall innerhalb der letzten 6 Monate
- Schädigung oder Neoplasie des zentralen Nervensystems
- Schweres Trauma/Operation/Kopfverletzung innerhalb der letzten drei Wochen
- Gastrointestinale Blutung innerhalb des letzten Monats
- Bekanntes Blutungsrisiko (Hämophilie etc..)
Relative Kontraindikationen:
- TIA in den letzten 6 Monaten
- Therapie mit Antikoagulanzien
- Schwangerschaft bzw erste postnatale Woche
- Nicht-komprimierbare Punktionsstelle
- Traumatische Reanimation (?!)
- Therapierefraktäre arterielle Hypertonie (RR syst. anhaltend >180mmHg)
- Fortgeschrittene Lebererkrankung
- Infektiöse Endokarditis
- Aktives Magenulkus
Diese Liste der Kontraindikationen sollte immer bei den Fibrinolytika aufbewahrt werden, damit man sie als eine Art Checkliste verwenden kann. Sollte man sich über eine Kontraindikation hinweg setzen, so ist die Begründung zu dokumentieren.
Einsatz von Tenecteplase bei der Lungenembolie:
Hier kam für mich die Überraschung schlechthin - Tenecteplase ist nur beim STEMI-ACS zugelassen?! Aber was ist nun mit der Lungenembolie, wofür sie eigentlich mitgeführt wird? Auch bei der fulminanten und hämodynamisch instabilen Lungenembolie darf Tenecteplase als "Off-Label-Use" gegeben werden, da folgende hierfür übliche Argumente allesamt erfüllt sind:
1.) Es handelt sich um eine schwerwiegende Erkrankung: U.A. daher wird es nur bei vitaler Gefährdung gegeben.
2.) Es ist keine andere Therapie verfügbar: Es wird i.d.R. nur ein Fibrinolytikum mitgeführt, daher besteht keine Alternative.
3.) Aufgrund der Datenlage besteht die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Es wurden Studien mit Tenecteplase bei Lungenembolie durchgeführt, die die Wirksamkeit bewiesen haben bei den üblichen Nebenwirkungen.
Was ich auch nochmal nachgelesen habe ist die Leitlinienempfehlung zügig zusätzlich auch mit der Antikoagulation (+/- Thrombozytenaggregationshemmung durch ASS) mit Heparin zu beginnen, um das Thrombuswachstum zu minimieren.
Es sei auch nochmal darauf hingewiesen, dass für den Lyseversuch eigentlich die Lungenembolie bewiesen sein muss. Da präklinisch keine Labordiagnostik oder Schnittbildgebung möglich sind, ist zumindest die Notfallsonographie zu fordern. Hierbei ist die Darstellung eines Thrombus in der Pulmonalstrombahn zwar selten möglich, aber man kann durch die Erkenntnisse (D-Sign bzw. paradoxe Septumbewegung, dilatierter rechter Ventrikel, pralle V. cava) die klinische Wahrscheinlichkeit einer fulminanten Lungenembolie mit Rechtsherzbelastung extrem erhöhen.
Die Leitlinien des ESC (European Society of Cardiology) zur Lungenembolie werden alle 2-3 Jahre aktualisiert, was zeigt, dass hier noch viel im Fluss ist. Die geschätzten Kollegen von Nerdfallmedizin haben die letzte Aktualisierung wie gewohnt verständlich und pragmatisch zusammengefasst, so dass ich mir erlaube ihre Beiträge dazu hier zu verlinken:
Blogbeitrag Nerdfallmedizin (2019)
Einsatz von Tenecteplase beim STEMI-ACS:
Hierfür ist Tenecteplase zugelassen. Dennoch wird es beim STEMI selten präklinisch eingesetzt, weil die einschlägigen Leitlinien die Reperfusion mittels Coronarangiographie präferieren. Nur unter folgenden Bedingungen sollte primär eine Lyse durchgeführt werden: Die ACS-Symptomatik besteht weniger als 12 Stunden und die STEMI-ACS-Diagnose kann durch Symptomatik und EKG-Veränderungen gesichert werden. Liegt nun die erwartete Zeit bis zur Möglichkeit einer PCI bei über 2 Stunden, so sollte eine präklinische Lyse innerhalb von 10 Minuten nach Diagnosestellung erfolgen. Anschließend ist der Patient dennoch ungeachtet des Verlaufs in ein Krankenhaus mit der Möglichkeit einer Notfall-PCI verbracht werden.
Einsatz von Tenecteplase im Rahmen einer Reanimation:
Die traumatische Reanimation gilt formell als relative Kontraindikation, im Beipackzettel ist sogar eine Reanimation länger als 2 Minuten genannt. In den aktuellen ERC-Leitlinien wird kein routinemäßiger Einsatz von Fibrinolytika empfohlen, auch nicht beim hochgradigen Verdacht auf eine Myokardischämie als Reanimationsursache! (Exkurs: Dennoch war ich vor wenigen Monaten als Transport-NA bei einer präklinischen Reanimation eines knapp 50jährigen Patienten, der bereits 40min mit therapierefraktärem Kammerflimmern reanimiert wurde. Die Anamnese und das anhaltende Kammerflimmern ließen eine Myokardischämie vermuten. Als Einzelfallentscheidung als Ultima ratio entschied sich der erstversorgende Notarzt zur Gabe von Metalyse. Nach wenigen Minuten kam es zu einem ROSC und rasch auch zur Kreislaufstabilität. Dank ebenfalls suffizienter Reanimationsmassnahmen und kurzer "no-flow time" überlebte der Patient schließlich ohne relevantes neurologisches Defizit.) Besteht jedoch ein hochgradiger Verdacht auf eine Lungenembolie als Reanimationsursache, so kann eine Thrombolyse unter Reanimation erwogen werden. Jedoch sind dann die Reanimationsmassnahmen für 60-90min fortgeführt werden, ehe sie als frustran abgebrochen werden müssen. Man nimmt an, dass der Wirkstoff so lange braucht bis er bei annähernd komplett verschlossener Pulmonalstrombahn am Wirkort in ausreichender Konzentration angelangt und den Thrombus zumindest teilweise aufgelöst hat. Diese Zeit ist zumeist präklinisch materiell und organisatorisch nicht machbar, so dass hierfür m.E. zwingend eine mechanische Reanimationshilfe bzw. dann auch möglichst der Transport unter CPR angestrebt werden sollte.
Hier dann noch etwas weiterführende Literatur: