Viele Einsätze stellen für erfahrene Rettungskräfte ja eine Routinetätigkeit dar mit allen Vor- (Erfahrung etc) und Nachteilen (Gefahr der Nachlässigkeit etc) dar. Manchmal kommen aber dann die Einsätze außerhalb der Routine, bei denen ein Nachdenken sowie Anpassen der Abläufe notwendig wird. Ehrlich gesagt schätze ich diese Einsätze, weil sie mich herausfordern und von mir ein flexibles Vorgehen verlangen.
So war es auch in diesem Fall am Bodensee: Es handelt sich um einen akuten und vital bedrohlichen Notfall an Bord eines Motorboots, welches in einem Yachthafen vertaut ist. Man kommt somit fußläufig mit etwas Geschick auf das Boot, da der Patient absolut nicht gehfähig war, stellte der Abtransport jedoch eine große Herausforderung dar. Zügig forderten wir ein DLRG-Boot mit der Option des Patiententransportes an, weil nur eine seeseitige Rettung über das Heck möglich war. Es waren vorbildliche Ersthelfer vor Ort, aber auch mit deren Hilfe war keine Umpositionierung der Yacht gefahrlos möglich. Eine Rettung über den Bug schied aus, da nicht gewährleistet werden konnte, dass der Patient dabei nicht ins Wasser fällt. Es hätte auch meiner Meinung nach eine zu große Gefahr für die Einsatzkräfte bestanden. Bis zum Eintreffen des Rettungsbootes wurde der Patient medizinisch versorgt und auf einem Spineboard gelagert. Somit konnte dann unmittelbar die Rettung vom Boot und der Transfer an einen gut zugänglichen Steg erfolgen. Von dort aus erfolgte der Transfer per Fahrtrage in den RTW zur weiteren Versorgung (Intubation) und der bodengebundene Transport in den ca. 15min entfernten Schockraum.
Wieder einmal hatte ich großes Glück mit einem tollen Team von Ersthelfern, DRK RTW, Polizei und der DLRG zusammenarbeiten zu dürfen. Alle waren hoch motiviert den Einsatz bestmöglich zu bewältigen und es gab auch keine relevanten Kommunikationsstörungen, auch wenn sich die Beteiligten bisher nicht kannten.
Für mich bemerkenswert war an diesem Einsatz:
- Klassischer Luftrettungseinsatz in ungewohnter Region mit wenig Kenntnissen zu den lokalen Strukturen (Rettung, Kliniken). Er macht eine ausführliche Absprache notwendig, da man nicht auf gegenseitige Erfahrung zurückgreifen kann.
- Einsätze am/im Wasser sind für mich keine Routine, daher habe ich (angemessenen) Respekt vor den dortigen potentiellen Gefahren. Ich glaube entsprechende Übungen usw. täten mir gut.
- Die frühzeitige Alarmierung der DLRG war in meinen Augen essentiell, da sich niemand finden ließ, der die Yacht sicher und schnell wenden konnte. In der aktuellen Position war keine Rettung des Patienten von Bord möglich. (Es braucht keine eingeklemmten Personen nach Verkehrsunfall für eine aufwendige technische Rettung). Gerade ehrenamtliche Einsatzkräfte müssen frühzeitig alarmiert werden, auch auf die Gefahr hin, dass der Einsatz schlußendlich nicht notwendig wird. Aber grundsätzlich galt auch hier mal wieder: Das Ehrenamt rockt das Rettungswesen! Vielen Dank!
- Der Patient war aufgrund der beengten Verhältnisse nicht optimal zugänglich, so dass eine Anpassung der medizinischen Massnahmen notwendig wurde: Die Intubation an Bord erschien mir zu riskant, insbesondere auch dann der Transfer des beatmeten Patienten an Land. Sicher ist dies aber eine diskussionswürdige Einzelfallentscheidung gewesen. Schlußendlich erfolgte die Atemwegssicherung im RTW unter deutlich besseren Verhältnissen problemlos, allerdings auch ca 1h nach der Alarmierung.
Noch ein paar theoretische Bemerkungen zu den Begriffen aus der Überschrift zum Schluss:
Routine: Routinierte Handlungen machen unser Leben extrem einfacher und schneller. Wir dürfen auf unsere Expertise vertrauen und so sicher/ruhig bleiben. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die aktuelle Situation doch nicht wirklich der Routinesituation entspricht und man so unangemessen handelt. Ebenso besteht die Gefahr der Achtlosigkeit und Unterschätzung. Daher sollte man in meinen Augen die eigene Routine mit Demut betrachten.
Flexibilität: Ein Modewort. Jeder will/soll/muss flexibel sein, in allen Lebensbereichen. Dennoch ist der Begriff weiterhin positiv besetzt und meint eigentlich nicht mehr sich der aktuellen Situation an zu passen und aus mehreren Handlungsoptionen ergebnisorientiert aus zu wählen.
Improvisation: Dieser Begriff ist nicht immer positiv besetzt und meint umgangssprachlich häufig so etwas wie "hingemurkst" oder "durchgewurschtelt". Streng genommen kommt es aber der Flexibilität sehr nahe nur mit der zusätzlichen Fähigkeit auch neue bisher nicht angewandte Handlungsoptionen zu entwickeln und diese auch an zu wenden. Daher ist ein Improvisationstalent wichtig und notwendig, so lange man dennoch sofern möglich bei etablierten Handlungssträngen bleibt und die Improvisation somit neuen bisher unbekannten Situationen vorbehalten bleibt.
Kompromisse: Davon lebt das ganze Leben, beruflich wie privat. Ohne die Fähigkeit dazu wäre kein soziales Leben möglich. Das ist völlig normal und ermöglicht erst unseren Alltag. Fast alle Entscheidungen sind Kompromisse der Beteiligten. Eine grundsätzliche Bereitschaft dazu und gute kommunikative Fertigkeiten erzeugen die notwendige soziale Kompetenz.