Update: Reminder Geburt im Rettungsdienst

Ich halte mich ja eigentlich sonst für einen sehr gefassten und wie man so schön sagt "aufgestellten" Menschen, den man nicht so schnell aus der Ruhe bringt, aber dieses mal mußte ich um meine Fassung kämpfen, als Emotionen in mir hoch kamen...

 

Ich wurde in den frühen Morgenstunden im beschaulichen Südschwarzwald bodengebunden mit dem Einsatzstichwort "drohende Geburt" in ein abgelegenes Haus in der eh schon sehr ländlichen Gegend gerufen. Als uns der werdende Kindsvater zum Haus führte, fragte ich welchen Kreißsaal man sich denn ausgesucht habe.... 

Folgende Infos bekam ich dann kurz zusammengefasst:

- Man wollte eine Hausgeburt

- Eine begleitende Hebamme habe man nicht gefunden, woraufhin man sich mehrere Bücher gekauft und sie sich durchgesehen hätte ("Eins hat sogar eine Ärztin geschrieben!" sagt der werdende Vater). Der Plan war nun eine Hausgeburt ohne weitere Hilfe.

- Die Wehen hätten am Vorabend begonnen, nun habe man bei mütterlicher Erschöpfung Angst bekommen und den Rettungsdienst alarmiert, damit dieser hilft.

 

Im Wohnzimmer finde ich die werdende Mutter vor. Sie hat heftige Wehen im Abstand von ca. 2min, die Fruchtblase sei vermutlich noch nicht geplatzt, aktuell habe sie keine Blutung. Vor einer Woche hatte sie mal eine Schmierblutung. Im Mutterpass sehe ich, dass es sich um eine Erstgebärende handelt ET+5. Sie war zuletzt vor sechs Wochen beim niedergelassenen Gynäkologen, der eine Beckenendlage (BEL) und im Ultraschall eine kindliche Retardierung festgestellt hat. Da der Gynäkologe zu einer frühen Aufnahme in einer geburtshilflichen Klinik drängte suchte man ihn in der Folge lieber nicht mehr auf, damit er die Pläne der jungen Familie nicht durchkreuzen konnte. 

In diesem speziellen Fall nahm ich eine vaginale Untersuchung vor, um ab zu schätzen, wie viel Zeit vermutlich noch bis zur Geburt bleibt, denn der Transportweg in die nächstgelegene Geburtsklinik ist etwa 30min lang. Klar habe ich nur wenig Erfahrung, aber ich war dennoch erstaunt, dass ich vaginal kein Köpfchen tasten und somit auch nicht den Muttermund adäquat bewerten konnte. Immerhin war kein Blut am Handschuh und es gab auch sonst keine Blutungszeichen. Ich kramte in meinem Kopf nach den Handgriffen zur Bestimmung der Kindslage. In der Wehenpause hatte ich schon den Eindruck, als könnte ich das Köpfchen am Fundus tasten, was für eine fortbestehende BEL sprechen würde. 

Wir entschlossen uns daraufhin zum raschen Transport in den RTW. Dort erfolgte die Linksseitenlagerung, Monitorisierung und Anlage eines venösen Zugangs, während per Funk über die Leitstelle die Klinikanmeldung erfolgte. Während der Fahrt mit Sonderrechten in die ca. 30km entfernte Klinik der Grund- und Regelversorgung mit Geburtshilfe rief ich im dortigen Kreißsaal an um schon einmal ein paar Informationen weiter zu geben. Man entgegnete mir, man würde im Haus keine vaginale Entbindung einer BEL anbieten und wir sollen doch besser die ca. 60km in das nächstgelegene Schwerpunktversorgerhaus fahren, dort sei es im Repertoire. Ich entgegnete, dass in meinen Augen aktuell der Geburtsmodus nicht zur Debatte steht sondern wir uns nun alleinig auf das Leben von Mutter und Kind konzentrieren sollten - und wenn es durch eine Notsectio ist. Ich habe leider im RTW kein CTG und kann daher weder etwas zur kindlichen Herzfrequenz noch zu den Wehen etwas sagen. Eine vaginale Geburt  einer BEL unter meiner "Leitung" wäre bei meinen Kenntnissen und Fertigkeiten sicher ein Desaster für Mutter und Kind. Eine Hebamme steht dem Rettungsdienst in diesem Leitstellenbereich auch nicht zur Verfügung. Ein Transport per Hubschrauber scheidet auch aus, weil der Geburtszeitpunkt wohl nur schwerlich ab zu schätzen ist.

Wir erreichten schlußendlich unter stabilen Verhältnissen die Zielklinik und ich argumentierte dort im Kreißsaal für mein Vorgehen, was man auch akzeptierte. Die BEL wurde bestätigt und so wurde eine eilige Sectio anberaumt, während wir wieder den Rückweg antraten.

 

Warum schreibe ich hier von diesem Fall? Eine Heldengeschichte ist es ja sicher nicht... aber darum geht es mir ja auch nicht, wie meine Leser wissen. Mir geht es viel mehr darum diesen Einsatz auf zu arbeiten, da er mir zu denken gab: Wie schnell es doch geht, dass man sich ohnmächtig ob der an einen gestellten Herausforderungen fühlt. Die vielen Fragezeichen im Kopf lassen auch schnell Emotionen aufkommen, die ich sonst fast immer wegschieben kann. Schnell braut sich eine ungute Stimmung zwischen Frust, Wut und Ärger zusammen, was aber eher ein Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit ist. Glücklicherweise nahm dieser Einsatz ein recht gutes Ende und ich danke Gott von Herzen dafür.

Ich hatte von ähnlichen Fällen auch schon gehört, aber es ist ja eine Rarität und daher passiert es sicher auch nur Anderen... und daher hatte ich mir auch keinen Plan gemacht, wie ich mit solchen Situationen und auch der Sorglosigkeit der werdenden Eltern umgehen will. Immerhin hatten sie ja den Rettungsdienst gerufen und mir steht es auch nicht zu über sie zu urteilen bzw. mich zu einer moralischen Instanz auf zu spielen. Wobei ich klar sagen will und muß, dass Toleranz für mich auch ein Ende hat und ich ein gänzlich anderes Verständnis von Schwangerschaft und Geburt habe.

 

So soll dieser Beitrag eher ein "Denkzettel" sein, sich mal über diesen oder ähnlich gelagerte Fälle Gedanken zu machen. Nicht nur medizinisch-inhaltlich, sondern auch bezüglich seiner eigenen Wertvorstellungen. Für mich war meine Impulskontrolle eine Herausforderung und mir ist es in meiner Ohnmacht schwer gefallen mich auf den Einsatz zu konzentrieren.

Was ich auch noch betonen möchte: Ich bin mir sicher, dass es die Eltern nicht böse oder schlecht mit ihrem Kind meinen und sie sicher auch liebende Eltern sein werden. Es war eher eine ausgesprochene Sorglosigkeit und mir sei auch der Begriff Naivität erlaubt, der zu ihrem Vorgehen führte. Vielleicht war auch die medizinische Betreuung in der Schwangerschaft suboptimal, aber ich kann es nicht wirklich bewerten. Ich hoffe nun nur, dass die Eltern und das Kind alle erdenklichen und notwendigen Hilfen angeboten bekommen, dass es nach dem holprigen Start nun bestmöglich weiter geht.

 

Ich möchte auf gar keinen Fall hiermit einen Shitstorm auf den Social Media Kanälen lostreten, sollte es soweit kommen, nehme ich den Beitrag sofort wieder aus dem Netz. Allen Beteiligten gilt trotz vielleicht unterschiedlicher Meinungen und Einstellungen unser Respekt.

 

Und nach dunklen Wolken folgt auch wieder die Sonne, und daher hänge ich ein paar Bilder meines geliebten Schwarzwalds von einer Wanderung bei Horben an. Ich bekenne mich zu meiner Heimat, auch wenn es mir manchmal eben auch im Einsatz fast den letzten Nerv raubt ;-)