Der Frühling kommt nun endlich, die Natur erwacht, im Tierreich kommt die Zeit des Nachwuchses, was auch teilweise in die österlichen Bräuche übernommen wurde. Daher überall Eier, schlüpfende Küken, strahlende Kinderaugen etc...
Von ungefähr kommt dieser Beitrag aber natürlich nicht und so könnte ich auch schreiben "aus aktuellem Anlass"...
Dieser Tage war es im bodengebundenen NA-Dienst mal wieder soweit: Gerade eingeschlummelt da weckt auch schon wieder der Piepser. Im NEF dann der Hinweis von der Leitstelle, dass es sich wohl um eine drohende Geburt handelt. Wir scherzen: "Na, ob es sich wohl wieder um eine Erstgebärende mit Eröffnungswehen handelt? Oder weißt Du noch, als wir mit dem NEF ins örtliche Krankenhaus ohne Geburtsabteilung gesaust sind, weil eine Dame mit heftigen Wehen in die Notaufnahme kam und die Dienstärzte aus Innere, Chirurgie und Anästhesie völlig überfordert waren?..."
Nach ca vier Minuten erreichen wir den Einsatzort und werden zur werdenden Mutter, ich mag nicht Patientin sagen, in ein Mehrfamilienhaus geführt. Im Schlafzimmer angekommen ist direkt ersichtlich, dass das Köpfchen bereits geboren ist. Innerhalb von zwei Minuten ist dann das lebensfrische Mädchen auf der Welt. Wir müssen kaum etwas tun: Wärmeerhalt, Abnabeln, Kontakt mit der betreuenden Hebamme herstellen und schließlich auf deren Wunsch der Transport in den nächstgelegenen Kreißsaal, wo es dann auch erst zur Nachgeburt kommt. Kind und Mutter sind wohlauf, so dass erst deutlich verzögert der Mutter ein PVZ gelegt und sie monitorisiert wird. Der Uterus kontrahiert gut, es kommt zu keiner übermäßigen Blutung. Noch vor Transportantritt lassen wir der Familie kurz Zeit für sich, schließlich will auch die große Schwester das Baby begrüßen.
Es war somit ein sehr schöner und ruhiger Einsatz ohne notfallmedizinischen Anspruch, worüber ich sehr froh und dankbar bin. Aber ich möchte diesen erfreulichen Einsatz dennoch zum Anlass nehmen, mir noch einmal die wichtigsten Facts in Erinnerung zu rufen. Teilen möchte ich diese Wiederholung auch, weil ich weiß, dass dieses Einsatzstichwort bei Vielen den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Für die Experten unter den Lesern/Leserinnen: Ich erhebe natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bin mir bewußt, dass ich es vereinfachend darstelle.
Zunächst einmal ist es schon fast witzig, wenn es nicht so verwirrend wäre, dass fast in allen Notfallmedizinbüchern nicht exakt das gleiche zur Geburt im Rettungsdienst drin steht, außer man hat offensichtlich voneinander abgeschrieben :-) Da scheinen doch einige Autoren wenig Erfahrung zu haben oder sie sind recht erfahrungsgeleitet sowie anekdotisch begabt. Das macht es einem Unerfahrenen aber nicht leicht sich zu belesen bzw. sich einen Ablauf mit seinen Red Flags und Stolpersteinen ein zu prägen.
Grundsätzlich kann man aber sagen:
1.) Die Geburt ist ein natürlicher Vorgang. Geburten im Rettungsdienst zeichnen sich dadurch aus, dass sie schnell ablaufen (sonst würde ja die Gebärende vorher die Klinik erreichen) und daher überdurchschnittlich einfach und unkompliziert verlaufen, was uns Notfallmediziner beruhigen sollte. Weniger ist in diesem Fall daher oft mehr. Zudem ist es wieder ein klassischer Moment, bei dem nicht der höchste "Rang" vor Ort die Entbindung betreuen sollte, sondern Der-/Diejenige mit der meisten Erfahrung, woher auch immer.
2.) Im Mutterpass stehen alle notwendigen Informationen, so dass man sich auf die aktuelle Anamnese konzentrieren kann. Insbesondere steht hier die aktuelle Schwangerschaftswoche, der errechnete Geburtstermin und die zuletzt festgestellte Kindslage. Sollte der Mutterpass nicht vorliegen, kann man vielleicht den betreuenden Gynäkologen bzw. die Hebamme oder die avisierte und ggf. vorinformierte Klinik kontaktieren.
3.) So lange alles normal verläuft ist notfallmedizinischer Aktionismus nicht gefragt.
4.) Die Geburt kann nicht in der Klinik stattfinden, sobald die Austreibungsphase begonnen hat bzw. das Köpfchen sichtbar ist.
5.) Bei der unkomplizierten Geburt sind der Wärmeerhalt, das Abnabeln sowie die Kontrolle der Uteruskontraktion und Blutung nach Geburt die einzigen Massnahmen.
6.) Die Nachgeburt muss nicht abgewartet werden, sondern kann auch in der Klinik erfolgen.
7.) Lebensfrische Kinder müssen weder stimuliert noch abgesaugt werden. Auch ein Gefäßzugang ist nur bei anhaltender und schwerer postpartaler Beeinträchtigung notwendig, daher sollte man sich die Gedanken zu PVZ, i.o.-Zugang und Nabelvenenkatheter zunächst ersparen.
8.) Abgenabelt wird ca. 20cm ab Kind nach Anbringen zweier Nabelklemmen. Dafür hat man nach einer normalen Geburt auch ein paar Minuten Zeit. Sollte am Kind interveniert werden müssen, ist sofort ab zu nabeln.
9.) Dokumentation von Zeit und Ort sind essentiell, der Name des Kindes nicht.
10.) Sollte das Kind behandlungsbedürftig sein, ist frühzeitig weitere Hilfe an zu fordern (idealerweise ein Baby-NAW mit Inkubator, ansonsten mindestens ein weiterer RTW (+NEF).
11.) Medikamentengaben sind bei normaler Geburt nicht notwendig. Kenntnisse zu den Medikamenten der Tokolyse bzw. für die Uteruskontraktion sind jedoch obligat für Notärzte.
12.) Jeder von uns durfte das APGAR-Schema auswendig lernen und sollte dreimal (1,5,10 Minuten nach Geburt) dokumentiert werden. Als Entscheidungskriterien für Massnahmen des NLS ist es jedoch nicht geeignet, hier zählt nur die suffiziente Atmung und der Puls nach Freimachen der Atemwege und Beatmung.
Damit der Beitrag nicht zu lange wird, verschiebe ich die Hinweise zu den Medikamenten Partusisten sowie Oxytocin, den Geburtskomplikationen sowie der Neugeborenenversorgung/-reanimation incl. Nabelvenenkatheter etc. auf einen späteren Zeitpunkt.
Vielmehr möchte ich noch auf zwei klasse Filme von den geschätzten FOAMED-Freunden von Nerdfallmedizin hinweisen. Durch sie ist man nach ca 25min lässiger Fortbildung mit deutlich mehr Hinweisen als in meinen o.g. Ausführungen sehr gut für eine normale Geburt gerüstet:
https://www.youtube.com/watch?v=gMyV-e2SVWo
https://www.youtube.com/watch?v=QvjhAdRf6nA
Hier noch zwei weitere leicht verständliche Informationsquellen, auch zu den etwaigen Komplikationen:
https://www.allgemeinarzt-online.de/archiv/a/wann-muessen-sie-handeln-1588876
Ja, auch die Allgemeinmediziner müssen dazu Bescheid wissen, gerade im ländlichen Raum...
Oder hier das Fortbildungsprotokoll der Sektion Notfallmedizin / Uni Heidelberg: