Meine ersten Eindrücke nach einer Woche in der Praxis

Nachdem ich schon viele interessierte Fragen der Art "Na, wie ist es nun als Landarzt?" erhalten habe, möchte ich doch kurz hier Stellung beziehen und auszugsweise meine ersten Eindrücke und Lehren schildern:

 

1.) Das Gesundheitszentrum Todtnau finde ich genial! Anders kann ich es nicht sagen und meine Wünsche daran sind weit mehr als in Erfüllung gegangen. Das gesamte Team, ärztlich wie nicht-ärztlich, ist super nett und aufgeschlossen. Alle strahlen eine hohe Arbeitszufriedenheit und somit auch Motivation aus. Natürlich ist die Taktung gerade jetzt in der Hochsaison hoch und ich kann kaum mithalten, aber ich bin auch  v.a. vom hohen sozialen Engagement des Zentrums für die Patienten und die gesamte Region beeindruckt, was weit über das zu erwartende (und finanzierte) Maß hinaus geht. Ich bin schon jetzt stolz und happy Teil des Teams sein zu dürfen.

 

2.) Die Allgemeinmedizin ist, eigentlich ja nicht überraschend, (v.a. wie sie hier im ländlichen Raum praktiziert wird) extrem breit gefächert und daher eine große Herausforderung für mich. Ich darf, kann, muss extrem viel lernen und viele Dinge sind noch "böhmische Dörfer" für mich, aber ich freue mich extrem darauf mich damit auseinander zu setzen und ich bin motiviert wie noch nie mich in die Bücher zu vertiefen.

 

3.) Die bürokratischen Hürden in der ambulanten Krankenversorgung sind wie erwartet natürlich der Hammer und für mich noch völlig undurchschaubar, unser System hat sich da wirklich völlig ins Abseits manövriert. Aber es nützt weder Arzt noch Patienten etwas den Kopf in den Sand zu stecken, man muss viel mehr mit allen Mitteln versuchen das Beste daraus zu machen und dennoch korrekt zu arbeiten.

 

4.) Ich freue mich, dass die Ausbildung sowie die studentische Lehre einen so hohen Stellenwert einnimmt. Es gibt in der Praxis mehrere MFA-Azubis und aktuell auch mehrere Studenten (PJ und Famulaturen), denen viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wird. Nicht nur in meinen Augen eine lohnende Investition in die Zukunft und eine große Bereicherung. Ich will mich auch schnellstmöglich in diesem Bereich mehr einbringen, sobald ich selbst etwas Fuß gefasst habe.

 

5.) Ich schaffe es auch hier bereits in meinem ersten Notarztdienst die für die Praxis durchschnittliche Einsatzzahl bei weitem zu übertreffen. Es macht schon einen Unterschied sich im NEF auf den Beifahrersitz zu flacken bzw. gar mit dem Heli sehr schnell unterwegs zu sein, oder ob ich hier als Selbstfahrer ohne viel Ortskenntnis unterwegs bin. Die Chancen stehen bei ca. 50%, dass man vor dem RTW an der Einsatzstelle ist und das gesamte Equipment zum Patienten bringen darf. Von der Dokumentation oder das Auffüllen des Verbrauchsmaterials gar nicht zu reden.... Die RTW-Teams haben es mir aber extrem leicht gemacht, ebenso die Kollegen der Ski- und Bergwacht, so dass wir die Einsätze in meinen Augen gut abwickeln konnten. Auch einsatztaktisch ist das Gebiet herausfordernd, da die nächsten Akutkrankenhäuser allesamt über 30min Fahrtzeit entfernt sind. Da muss schon häufiger bei "schwereren Fällen" ein Hubschrauber zum schnellen bzw. schonenden Transport nachgefordert werden. Andererseits werden viele Patienten durch den Rettungsdienst mit und ohne NA auch erstmal in die Praxis gebracht, weil man auch dort die notwendige Abklärung/Überwachung oder zumindest eine erweiterte Erstversorgung vor einem wie auch immer gearteten Weitertransport vornehmen kann. Neben einer hohen Patientenzufriedenheit hat dies den galanten Vorteil, dass der RTW als "kostbares Einsatzmittel" auch wieder deutlich schneller verfügbar ist. Begleite ich bodengebunden den Transport im RTW, ist das Gebiet lange Zeit nicht abgedeckt, so dauerte beispielsweise ein nächtliches NSTEMI-ACS in der Summe dann fast drei Stunden. Da muss man einsatztaktisch schon anders denken als in der Stadt. Die Ausstattung des Notarztfahrzeugs ist sagen wir mal noch ausbaufähig, aber da werde ich meinen NA-Kollegen vor Ort gerne helfen für die Sache konstruktiv-streitsam zu kämpfen. In meinen Augen muss gerade auf dem Land, auch bei zugegebenermaßen vergleichsweise niedrigerer Einsatzfrequenz als in der Stadt, die Ausstattung besonders umfangreich und hochwertig sein, da man sich eben dort nicht mit einem kurzen/schnellen Transportweg beruhigen kann. So sind gerade in diesem Bereich die erweiterten diagnostischen wie therapeutischen Massnahmen eigentlich häufiger zwingend indiziert sind als in Bereichen, in denen man innerhalb 15min in einer gut ausgestatteten Klinik ist. Aber über diesen Missstand und den schon lange andauernden Kampf um Verbesserung werde ich in einem weiteren Beitrag mal genauer berichten.

 

So, nun aber Schluß, denn ich will nämlich noch selbst was nachlesen....