Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW)

Um meine kleine Trilogie zu vervollständigen möchte ich heute nochmals die Eckpunkte eines kardiologischen "Specials"zusammen tragen, nämlich zum Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW):

Es handelt sich dabei um eine Veranlagung zu tachykarden Rhythmusstörungen durch eine zusätzliche Leitungsbahn (sog. Kent-Bündel) zwischen den Vorhöfen und den Kammern des Herzens. Wortwörtlich liegt mir diese Erkrankung am Herzen, denn ich war selber mal davon betroffen, ehe ich mich 2003 glücklicherweise anhaltend erfolgreich ablatieren ließ.

 

Wie immer möchte ich die Frage vorweg stellen: Was muss ich als (präklinischer) Notfallmediziner dazu wissen?

Sicherlich unnötig ist es die drei Namensgeber zu verinnerlichen, die sich durch dieses Syndrom ein Denkmal setzten. Genauso nützt es nichts sich den Namensgeber des zusätzlichen Leitungsbündel zu merken, die Namensgeber der drei physiologischen Leitungsbahnen im Bereich der Vorhöfe möchte ich nicht einmal nennen.

Jedenfalls führt diese Veranlagung zu einem hohen Risiko zur Entwicklung anfallsartiger (paroxysmaler) Tachykardien. Zumeist sind dies durch die kreisende Erregung rhythmische Schmalkomplextachykardien. Bei einer Vorhofarrhythmie oder einem Schenkelblock können die Tachykardien auch arrhythmisch und breit erscheinen. 

Diese anfallsartigen rhythmischen Schmalkomplextachykardien sind in der Regel, so lange der Patient ansonsten herzgesund ist, zumeist gutartig und führen selten zu hämodynamischen Einbrüchen, die eine sofortige Notfalltherapie (ggf. elektrisch) rechtfertigen würden.

 

Anekdote 1: Ich wußte damals von der entsprechenden Veranlagung und spürte auch gelegentlich kurze selbstlimitierende Tachykardien. Am Tage meiner ZVS-Zusage und mit dem Hintergrund einer eh aufwühlenden Zeit kam es dann während einer RTW-Schicht zu einer zunächst anhaltenden Tachykardie um die 230/min. Dadurch hatte ich die Gelegenheit das Schauspiel zu dokumentieren, ehe ich begann eine Carotismassage an mir selbst vor zu nehmen. Es kam zu einer Konversion in den normofrequenten  Sinusrhythmus, wobei ich natürlich nicht belegen kann, ob dies am Vagusreiz lag oder spontan geschehen ist.

Auf jeden Fall wollte ich so etwas aber nicht nochmal erleben und ging daher mit dem EKG zum Rhythmologen und stellte mich zur Ablation vor.

 

Aber wie konnte ich von einer solchen Veranlagung wissen? Bei vielen WPW-Patienten lässt sich auch in Ruhe im EKG eine sogenannte Delta-Welle im aufsteigenden Ast der R-Zacke nachweisen, was man dann als Präexzitations-Syndrom bezeichnet, weil es sich eben um eine vorzeitige Kammererregung über das zusätzliche Leitungsbündel handelt.

 

Anekdote 2: Ich hatte in meinen Zeiten als (Lehr-)Rettungsassistent zumeist ein Ausdruck eines Ruhe-EKGs von mir dabei, um die mich begleitenden (RA-)Praktikanten aufs Glatteis zu führen. Ich gab an es sei der Ausdruck eines Patienten von vor einigen Tagen und ich würde nun meinen Kollegen bitten mir bei der Auswertung zu helfen, da ich mir keinen Reim drauf machen könnte. Zudem sollte er/sie mir sagen, was sie bei einem solchen Patienten getan hätten. Die Meisten bemerkten in ihrem Eifer garnicht, dass das EKG schon deutlich älter war und auch die Delta-Welle ging zumeist unter. Viel schneller fiel den jungen Kollegen die QRS-Verbreiterung und eine ST-Hebung in manchen Brustwandableitungen auf, weshalb sie meistens vorschlugen unmittelbar einen Notarzt mit der Arbeitshypothese ACS bzw. STEMI nach zu alarmieren. Manche wurden ganz bleich, als ich auflöste und sagte, dass es sich um mein EKG handelt und ich doch schwer hoffe, dass meine Koronarien noch durchgängig sind.

Fazit, auch wenn der Spruch auch einen sooooo langen Bart hat: "Behandle den Patienten und nicht nur sein EKG!"

QRS-Verbreiterung und ST-Streckenveränderungen gehören genau wie die Delta-Welle zum EKG bei WPW-Syndrom dazu und haben keinen Krankheitswert. Aber - Cave: Auch ein WPW-Patient kann natürlich auch eine Myokardischämie haben!

 

Was sollte ich sonst noch zum WPW-Syndrom wissen?

- Wie gesagt sind die Tachykardien bei Herzgesunden im Sinusrhythmus zumeist harmlos. Erreicht vor Aufregung die Frequenz des Helfers die des Patienten, läuft etwas falsch. In der Regel kann man mit der pharmakologischen Behandlung etwas warten. Die Chancen auf eine Selbstlimitierung stehen nicht schlecht und ansonsten helfen auch die üblichen Vagus-Reize ganz gut. Sollte man in die Verlegenheit einer pharmakologischen Therapie kommen ist das sonst selten verwendete Ajmalin (Gilurytmal) das Medikament der ersten Wahl.

- Adenosin (Adrekar), welches gerne bei den anderen Reentry-Tachykardien verwendeten wird, ist formal beim WPW-Syndom kontraindiziert, da es dann bei Blockierung des bremsenden AV-Knotens bei einem etwaigen auslösenden Vorhofflimmern / -flattern zu einer ungehinderten Überleitung auf die Kammern kommen kann mit der Folge eines Kammerflimmerns oder Kammertachykardie. Gibt der Patient in der Anamnese ein WPW an, so ist auf Adrekar zu verzichten und Ajmalin zu verwenden. Ist dem Patienten nichts bekannt, so kann Aderkar verwendet werden. Bei Gabe von Adrekar wird eh die Reanimationsbereitschaft gefordert, und im worst case sollte sich das VF/VT prompt durch eine Defibrillation/Kardioversion terminieren lassen. Daher sollte keinem Patienten mit unbekanntem WPW-Status Adenosin vorenthalten werden.

- Die genannten potentiellen schwer wiegenden Folgen von Vorhofflimmern/-flattern bei WPW stellen auch die eigentliche Indikation zur elektrophysiologischen Behandlung dar. Dabei wird nach einem Mapping mit Identifikation des zusätzlichen Leitungsbündels dieses elektrisch verödet. Schwerwiegendste potentielle Komplikation: Entwicklung eines höhergradigen AV-Blocks mit Schrittmacherpflichtigkeit (Nota bene: Ich bin glücklicherweise weiterhin ohne Batteriebetrieb unterwegs :-)).

 

Zusammenfassung: Ist beim Patienten ein WPW-Syndrom bekannt und zeigt er eine stabile Tachykardie, so bleibe ruhig und führe mit dem Patienten (und ggf. bei Dir selbst), ein Vagusmanöver durch. Wenn es nichts hilft und Du behandeln musst, weißt Du dann, warum Du Ajmalin (Gilurytmal) überhaupt im Ampullarium hast. Ist die Tachykardie beim WPW-Patienten bereits vorbei schreibe ein 12-Kanal-EKG (Suche nach einer Delta-Welle und Ausschluss eines Vorhofflimmerns/-flatterns) und stelle den Patienten in der Klinik vor. Ist kein WPW-Syndrom bekannt verfahre bei der regelmäßigen Schmalkomplextachykardie (exklusive Sinustachykardie) gemäß den ERC-Leitlinien 2015 und verabreiche nach erfolglosem Vagus-Manöver Adrekar. 

 

Kleiner Hinweis zum Schluss: Wer sich dafür interessiert (was ich begrüße!) wie die EKG-Veränderungen von WPW, Brugada & Co genau aussehen möchte ich nochmals das Buch "EKG in der Notfallmedizin" meines Freundes und geschätzten Kollegen Ralf Schnelle empfehlen, der eine extrem beneidenswerte Gabe hat in Worten und Grafiken die einzelnen Veränderungen zu erläutern. Und dies in einer beneidenswerten einfachen und somit gut einprägsamen Art. Da bricht sich auch kein Druide einen Zacken aus der Krone mit diesem Buch die Grundlagen des EKG zu erlernen. Das EKG ist in meinen Augen eh eine mittlerweile stiefmütterlich behandelte, unterschätzte und auch nicht mehr gut beherrschte Diagnostik-Option. Im Medizinstudium wird dieser Diagnostik-Klassiker meist nur gestreift und auch im ärztlichen Berufsleben findet sie nicht die verdiente Beachtung. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus... aber ich bleibe dran!