Performance Folge 2

Nachdem es in Folge 1 quasi um die Propädeutik der Performance ging soll es nun deutlich pragmatischer  werden: Was für Einflussfaktoren gibt es auf die Performance und wie kann ich sie (einfach) verbessern?

 

Doch bevor es richtig losgeht möchte ich mich für meine politisch inkorrekte Überschrift der Folge 1 entschuldigen, die wohl manchem Leser sauer aufgestossen ist. Jeder der mich kennt weiß, dass ich mit dieser politischen Einstellung rein garnichts anfangen kann, daher dachte ich, ich könne diesen provokativen Titel wählen, was aber wohl zu kurzsichtig war. Ich bitte um Entschuldigung.

 

Vielmehr wollte ich klar stellen, dass ich auch kein Performance-Naturtalent bin, dem jederzeit all die Einzelaspekte bzw. Einflussfaktoren leicht von der Hand gehen. Sondern es ist für mich ein Kampf, und da ich niemand Anderen dafür verantwortlich machen kann, „mein Kampf“ mit der Performance. Für mich ist diese Mühe aber absolut lohnenswert: Wir wissen, dass in egal was für einer Branche ganz grob 70 % der Fehler/Komplikationen/Zwischenfälle zumindest teilweise in den Human Factors begründet sind. Auch wenn ich dazu keine wissenschaftlichen Daten kenne glaube ich jedoch im Umkehrschluss, dass auch die Mehrheit der Gesamt-Performance den Human Factors (HF) zu zu schreiben ist, und daher möchte ich im Folgenden insbesondere auf diese Aspekte eingehen. Mit der Förderung der Performance geht es mir persönlich nicht darum, dass man gut dasteht und sich gut in Szene setzt, sondern für mich ist die Performance das Fundament für die Effektivität und Fehleranfälligkeit seiner Arbeit.

 

Aber nun genug der erneuten Einführung, los geht’s nun mit den Einzelaspekten ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne wertende Reihenfolge:

 

Fachwissen

Fachwissen gehört nicht klassischerweise zu den HF, aber wir wissen alle, was für mentale und kognitive Sofortwirkungen es hat, wenn uns das benötigte Fachwissen fehlt. Schnell fühlen wir uns verunsichert, vorgeführt und können rasch nicht mehr konzentriert und strukturiert vorgehen.

Es war und ist für mich jedoch wichtig zu akzeptieren, dass nur ich für mein Fachwissen verantwortlich bin und ich dafür die Bringschuld habe. Klingt und ist eigentlich auch logisch, aber schnell hört man immer Forderungen wie „soll mich doch der Betrieb qualifizieren“ ... „die Ausbildung ist schlecht“...u.v.a.m.

Klar sind Qualifizierungsmassnahmen bzw. deren Förderung durch den Dienstherrn sinnvoll und notwendig, keine Frage, auch die Ausbildung neuer/junger Mitarbeiter muss der ganzen Firma/Abteilung am Herzen liegen, aber die Verantwortung liegt beim Einzelnen, was davon hängen bleibt.

Das „lifelong learning“ ist eine altbekannte Forderung und muss auch so gelebt werden, nur muss man dem mit der Zeit veränderten Lernverhalten gerecht werden. Jeder muss für sich selbst herausfinden, welche Lernmedien als effektiv empfunden werden. Der  Eine liest gerne Bücher und Zeitschriften, Andere gehen gern zu Vorträgen und auch die „modernen Medien“ bieten vielfältige Fortbildungsmöglichkeiten.  Wichtig erscheint mir mit Neugier mal die verschiedenen Methoden zu probieren und ggf. auch zu kombinieren, um für sich ein individuell optimales Ergebnis zu erzielen.

Jedenfalls hilft mir ein solides Fachwissen in anspruchsvollen Situationen freie kognitive Ressourcen (siehe grüne Kügelchen in Folge 1) zu bewahren um die aktuellen Anforderungen bewältigen zu können.

 

Skills

Unter Skills versteht man allgemein die praktischen Fertigkeiten wie beispielsweise Venenpunktion, Intubation und Co. Hier ist es natürlich von großem Vorteil für die Performance, wenn man die benötigte Fertigkeit sicher beherrscht und auch mit den damit verbundenen Schwierigkeiten umgehen kann bzw. auch Alternativen kennt.

Da man sich Erfahrung bekanntlich nicht kaufen kann bleibt hier halt nur eins übrig: Üben...üben...üben... am Modell, unter Anleitung, Erlangung höherer Fallzahlen oder auch nur die mentale Simulation. Unter mentaler Simulation versteht man das konzentrierte Durchdenken /-leben der jeweiligen Situation/Fertigkeit. Auch für mich klang dies erst einmal albern, aber man muss nur bsp. die Profi-Skifahrer beobachten, wie sie im Rahmen der Startvorbereitungen die Strecke mental simulieren. Ohne diese Vorbereitung wären die heutigen Geschwindigkeiten und Schwierigkeitsgrade im Alpinsport undenkbar. Übertragen auf die Akutmedizin kann man aber exemplarisch auch komplexe und mehrschrittige Massnahmen wie die Narkoseeinleitung und Intubation mental simulieren – aber nicht „einfach mal so“, sondern auch diese Technik bedarf hoher Konzentration, Vorstellungskraft und Lernbereitschaft.

Analog zum Fachwissen binden aber auch die Skills rasch mentale und kognitive Ressourcen, wenn sie einem nicht leicht von der Hand gehen (rote Kügelchen in Folge 1). Daher stabilisiert auch hier die sichere Beherrschung der Skills die Chance für eine gute Performance durch Bereitstellung mentaler und kognitiver Ressourcen.

 

Sachkenntnis

Unter Sachkenntnis verstehe ich u.a. die Bedienung technischer Hilfsmittel. Jeder kennt Situationen, die außer Rand und Band gerieten, weil es „technische Schwierigkeiten“ gab. Ärgerlich ist, dass die „technischen Probleme“ recht häufig vielmehr ein Bedienungsfehler sind. Ganze Teams geraten ins wanken wenn man die nötige Technik  nicht in der normalen Zeit in Betrieb nehmen kann. Ich kenne das auch noch gut: „Meine Leiche im Keller“ zu Beginn meiner Rettungsdienstszeit waren die Perfusoren. Man brauchte sie präklinisch selten, ich hatte im Vorbereiten der Injektionslösungen und in der Bedienung des Gerätes sehr wenig Erfahrung und ich traute mich nicht meinen Kollegen gegenüber diese Schwäche ein zu gestehen. Also mogelte ich mich durchs Rettungsdienstleben: „wird schon gut gehen, dann muss es halt der Kollege machen“...“wir benutzen alles aber keinen Perfusor“... Trotzdem kam es aber natürlich zu mehr als peinlichen und gefährlichen Szenen, so dass ich mich dann eigentlich viel zu spät dieser Schwäche stellte und mich nochmal damit grundlegend beschäftigt habe. Muss ich ein Gerät bedienen, von dem ich weiß, dass ich es nicht sicher beherrsche, sind innerhalb von Sekunden auch hier wieder alle kognitiven Ressourcen gebunden, ich fühle mich schlecht, gestresst und bin verunsichert. Wie will ich dann noch eine gute Performance abliefern?

Also, ran an die „Leichen im Keller“!!!

 

Müdigkeit, Hunger, Durst, Temperaturempfinden, Toilettengang

Wir alle kennen diese menschlichen Bedürfnisse  und es wird wohl für niemanden eine Überraschung sein, dass die Performance hierdurch beeinflusst wird. Aber wie sehr und elementar diese Beeinflussung ist, sollte man sich vielleicht schon nochmal vor Augen führen. Manche Dinge lassen sich in der Akutmedizin nicht oder nur schwer beeinflussen und werden daher auch sehr rasch als Ausrede genutzt – aber auch hier möchte ich kritisch an die Selbstverantwortung und Bringschuld des Einzelnen appellieren, auch wenn ich hier gleich wieder meine persönliche Schwäche diesbezüglich eingestehen will. Ich sollte/muss hier auch persönlich mehr auf mich achten...

Mit einem kurzfristigen Schlafdefizit kommen wir ja meist noch recht gut zurecht, aber es gibt bereits nach 24h ohne Schlaf solche Beeinträchtigungen der Kognition und Reaktionszeit, wie man sie nach heftigem (nicht mehr verkehrstauglichen) Alkoholkonsum kennt bzw. damit durchaus vergleichen kann. Ich gebe auch zu, dass ich mich schon nach 24h-Schichten dann daheim nicht mehr exakt an den Heimweg erinnern konnte...sehr bedenklich...v.a. wenn man bedenkt, dass ich noch wenige Minuten zuvor die Verantwortung für einen kritisch kranken/verletzten Patienten hatte... Nach dem Modell „Time-Since-Awake nach Dawsen“ kann man anhand der Schlafdauer der beiden vergangenen Nächte abschätzen wann es zu einem starken Schlafdrang kommt. Bei meinem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus und kurzer Schlafdauer sollte ich manchmal gar nicht zum Dienst antreten und ganz Unrecht hat dieses Modell sicher nicht...

Auch wenn man noch keinen relevanten Abfall des Blutzuckers messen kann wissen wir, wie schnell man mit Hunger subjektive und auch bald objektive Leistungseinbussen aufweist. Allerdings möchte ich auch auf ähnliche Effekte nach übermäßiger Nahrungsaufnahme im Rahmen der „postprandialen Müdigkeit“ bzw. „Fressnarkose“ hinweisen...

Noch schneller wie Hunger schlägt Durst bzw. ein Flüssigkeitsdefizit zu... rasch hat man das Gefühl keinen klaren  Gedanken mehr fassen zu können und ich selbst habe es durch mangelnde Flüssigkeitsaufnahme schon unzählige male geschafft mich an hämmernden Kopfschmerzen zu erfreuen.

Einer meiner „Lehrmeister“ der präklinischen Notfallmedizin fragte einmal in einem Vortrag (im Winter): „Was ist der wichtigste Ausrüstungsgegenstand des Notarztes?“ Viele falsche Antworten seiner Meinung nach folgten bis er aufgab und sagte – „die lange Unterhose“! Großes Gelächter erfüllte den Raum. Aber mir blieb das Lachen recht schnell im Halse stecken, denn eigentlich musste ich ihm Recht geben. Ich halte es für fraglich was schlimmer ist, ob fröstelnd-zitternd oder schweißgebadet, sehr schnell nimmt unsere Leistungsfähigkeit körperlich wie mental ab. Hier ist geeignete (Funktions-)Kleidung vom Dienstherrn zu fordern, aber ebenso hier kann man auch selbst mit privaten Mitteln auch im eigenen Interesse einen erheblichen Eigenanteil leisten.

Muß ich noch was zum Einfluss des Toilettengangs erklären? Ich denke nein, dies haben wir alle schon am eigenen Leib erlebt und darunter gelitten...

 

Teamarbeit

Die Akutmedizin ist für mich eine absolute Teamsportart. Alleine geht es nicht bzw. nicht in der angezeigten Zeit und der nötigen Sorgfalt – dies erlebe ich bei fast jedem meiner Einsätze als First-Responder. Einzelkämpfer haben in manchen Branchen ihre absolute Berechtigung, aber nicht in der Akutmedizin, denn hier sind Teamplayer gefragt. Diese Fähigkeit ist ein Stück weit Veranlagung, kann aber auch sehr gut trainiert und weiterentwickelt werden. Am Wichtigsten ist, sich der Rolle eines effektiven Teams bewußt zu sein und sich selbst diesem Team unter zu ordnen. Wie heißt es so schön im Mannschaftssport: Die Teamleistung ist mehr als die Summe der Einzelleistungen – auch in die Akutmedizin ist dies absolut übertragbar.

 

Feiern können/dürfen

Zur guten Teamarbeit gehört auch, daß sich das Team auch mal feiern und danach noch besser zusammenarbeiten kann, weil man sich noch besser kennenlernt und sich auf die gemeinsamen Ziele besinnt. Vermutlich fallen jetzt Einigen ausufernde Weihnachtsfeiern oder andere Partyexzesse mit zweifelhaften Folgen ein, dies meine ich natürlich nicht...

Übrigens kann so eine „Feier“ auch mal ein gemeinsames Frühstück oder eine lockere Runde beim Kaffee sein, auch dies trägt bewußt und achtsam gelebt zum Teambuilding bei.

 

Dark Side: Erniedrigung/Kränkung, Enttäuschung, Scheitern, Fehler

Auch diese dunkle Seite der Teamarbeit soll hier zur Sprache kommen. Erniedrigungen/Kränkungen und andere Formen disruptiven Verhaltens sind grundsätzlich und konsequent ab zu lehnen. Der Betroffene wird lange nicht mehr seine individuelle Maximalleistung zeigen können und ist anhaltend eingeschüchtert, was einen großen Hemmschuh für die Performance darstellt. Doch sind uns allen solche Geschichten bekannt und ich kann nur eindringlich aufrufen sich couragiert für den Betroffenen ein zu setzen. Enttäuschungen passieren da noch schneller und oft auch unbeabsichtigt, weil Erwartungen und Wünsche nicht erfüllt werden. Hier besteht jedoch glücklicherweise eine größere Chance, dass man durch eine ehrliche Aussprache den Konflikt bereinigen und man sich wieder der „normalen Arbeit“ mit gewohnter Performance widmen kann. „Runter schlucken“ nützt aber auch hier nichts.

Das Scheitern in der Vergangenheit, eventuell bedingt durch eigene Fehler, ist natürlich auch künftig in ähnlichen Situationen mit Wiedererkennungswert nicht gerade förderlich für die Performance. Keiner sagt: „Hurra, jetzt bekomme ich nochmal eine Chance – diesmal klappt es bestimmt“! Hier kann man nur nochmal die Notwendigkeit eines strukturierten und konstruktiven Debriefings, auch nach schwierigen Situationen mit gefühltem Scheitern, hinweisen. Eine erneute schlechte Performance im Wiederholungsfall ist meist Ausdruck einer mangelhaften Aufarbeitung des ursprünglichen Ereignisses.

 

Das Gute im Arbeiten und Sein des Anderen (an-)erkennen, Lernen am Vorbild

Schon von klein auf werden wir mit Anderen verglichen und ab dem Schulalter und der Berufsausbildung werden wir dann endgültig zum Einzelkämpfer ausgebildet. Die Folge dieser Vergleiche und Kompetitionen ist dann häufig auch direkt oder indirekt ausgelebte Rivalität. Kein Wunder tut man sich dann schwer auf einmal effektiv im Team zusammen zu arbeiten.

Wie befreiend und wohltuend ist es dann, wenn man bewußt seine Augen für die  Arbeit und die Persönlichkeit der Kollegen öffnet. Die Krönung ist, wenn man die Größe aufbringt den Kollegen dann zu sagen, was man Positives an ihnen wahrnimmt und was man sich künftig von Ihnen abschauen will. Dies ist die beste Art das „Kriegsbeil der Rivalität“ zu begraben.

Das Lernen am Vorbild ist so eine Sache: Jedes Kind lernt auf diese Weise und kommt so im Leben voran. Auch hier kommt es aber vor allem später auf das „wie“ an. Strebt man einem Idol nach will man es nicht selten kopieren, was aber zumeist keine gute Idee ist, weil jeder dazu zu einzigartig und individuell ist. Vielmehr erscheint es mir sinnvoll sich bewußt zu überlegen, welche Personen und auf welche Art und Weise für einen selbst im eigenen Werdegang den Unterschied gemacht haben (making the difference). So kann man sich gut klar machen, was einen voran gebracht hat und was man vielleicht selbst einem/einer Dritten weitergeben möchte.

 

Vorschau (u.a.) weiterer Einflussfaktoren auf die Performance in den nächsten Folgen:

Konzentration/Störungen/ Multi Tasking

Motivation/Antrieb/ Ansprüche an sich selbst/ Sozialer Aspekt / Ziele

Achtsamkeit/Resilienz/Gesundheit

Über-/Unterforderung

Alkohol, Drogen

Körperliche Fitness

Freundlichkeit / Entschlossenheit

Vertrauen auf Selbstwirksamkeit / Selbstvertrauen

Eigen-/Fremdwahrnehmung, der erste Eindruck

Strukturierung, Priorisierung

Fixierungsfehler

Kommunikation / Kommunikationsstörungen

Erfahrung

Führung

CESAR

 

FORTSETZUNG FOLGT!